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Zwischen schierer Existenznot und Patient Journey der Zukunft
In einem waren sich die Experten einig, die zur Kongress-Session auf der DMEA Stage geladen waren: Noch ist der Entwurf der Krankenhausreform zu vage, um handfeste Prognosen über deren Auswirkungen auf die Digitalisierung zu wagen. Selbst die Finanzierung sei ja noch unklar, sagte Markus Stein, Leiter Strategisches Produktmanagement Krankenhaus von der RZV Rechenzentrum Volmarstein GmbH. Aus dem geplanten Transformationsfonds von 75 Milliarden Euro sollten auch die telemedizinischen Netzwerkstrukturen finanziert werden – „die Frage ist, ob das so durchgeht“.
Krankenhäuser im Panikmodus
Im Moment sei noch „viel Kaffesatzleserei“ dabei, wenn es um den Impact der Reform auf die Digitalisierung gehe, stimmte Prof. Dr. Jan Appel zu, Professor für Wirtschaftsinformatik der IU Internationale Hochschule und Partner bei Borchers & Kollegen Managementberatung. Aktuell treibe die meisten Krankenhäuser ohnehin weniger die Digitalisierung um als das schiere Überleben. „80 Prozent der Häuser schreiben rote Zahlen“, so Appel. Es herrsche „Panikmodus“. Prozessdigitalisierung werde seiner Einschätzung nach deshalb vorerst nur dort umgesetzt, wo sie kostenneutral und effizienzsteigernd sei.
„Erfolg erzeugt Digitalisierungsdruck“
Dennoch glaubt Appel durchaus an einen Digitalisierungsschub durch die Reformpläne. Jedes Krankenhaus werde sich in Zukunft auf seinem Level spezialisieren und dadurch auch einen digitalen Wandel vollziehen. Es werde in der Branche Aufkäufe und Fusionen geben, Kooperationen über Sektorengrenzen hinweg, Fachabteilungen würden künftig auf mehrere Standorte verteilt – was alles zwangsläufig mehr telemedizinische Versorgung nach sich ziehe. Und: „Erfolg erzeugt Digitalisierungsdruck“, betonte Appel: „Die erfolgreichen Träger haben häufig auch einen hohen Digitalisierungsgrad.“ Ohnehin sei sein Rat, selbst aktiv zu werden: „Es wird kein Gesetz kommen, das auf Sie herunterregnet.“ Die Krankenhäuser müssten selbst ihre Prozesse anschieben und über Führungskultur eine kostenneutrale „Key-User-Kultur“ schaffen.
Gesundheitsregionen und eine neue Datenlogik
Auch Bernhard Calmer, Geschäftsführer bei CGM Clinical Europe GmbH, geht davon aus, dass die Krankenhausreform selbst „wenig Impact auf die echte Digitalisierung“ haben wird. Stattdessen sollten „alle anpacken“, damit die Welt digitaler und die Patientenversorgung sicherer wird. Ein Ansatz sei, Gesundheit regional zu organisieren und die Sektorengrenzen aufzuweichen, so wie es andere Länder längst vormachten. Der Flow der Patient:innen und ihrer Erkrankungen gehörten in den Mittelpunkt – und das verändere auch die IT. Daten müssten raus aus einer „Besitzlogik“ der einzelnen Leistungserbringer und übergehen in eine Prozesslogik der Kooperation. Zudem sammele immer mehr Sensorik auch immer mehr Daten, für die es entsprechende Strukturen brauche.
Eine Skizze für das Jahr 2050
Weit voraus blickte Dr. Michael Sander, Cluster Lead Healthcare des Think Tanks „Zukunft-Fabrik.2050“. Ziel des Think Tanks sei stets die Frage: „Welche Zukunft wollen wir im Jahr 2050 haben, und was tun wir hier und heute dafür?“ Für die Gesundheitsversorgung in Deutschland hat der Think Tank zehn Leitideen entwickelt, von denen Sander vor allem eine hervorhob: Die Gesundheitsversorgung solle in Deutschland künftig in 80 bis 100 Gesundheitsregionen organisiert werden – mit zwei Maximalversorgern, innovativen Gesundheitskiosken für die ambulante Versorgung, weiterentwickelten Apotheken, Fallmanagern für die Patient:innen und einer Leitstelle je Region. Dabei setze der Think Tank „voll auf Technologie“: Der digitale Zwilling und Künstliche Intelligenz hätten eine Schlüsselrolle. Grundsätzlich gelte „Digital vor ambulant vor stationär“. All dies sei „eine grobe Skizze“ für das Jahr 2050 und werde nicht jedem gefallen, sagte Sander. „Aber wir müssen anfangen, auf anderer Ebene zu diskutieren und uns zu fragen: Wo wollen wir hin?“