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Themendossier: Digitalisierung für alle: eRezept, DiGAs, elektronische Patientenakte und Co

Bei der digitalen Transformation des Gesundheitswesens geht es aus technischer Sicht um Vernetzung, Datenschutz und Datensicherheit. Vor allem aber geht es um jede Einzelne und jeden Einzelnen von uns. Elektronische Rezepte, digitale Gesundheitsanwendungen, Videosprechstunden und eine über mobile Endgeräte zugängliche, elektronische Patientenakte wurden politisch auf den Weg gebracht und werden jetzt zügig eingeführt. Am Ende steht ein besseres Gesundheitswesen für Patientinnen und Patienten, Bürgerinnen und Bürger.

Digitale Anwendungen für Patientinnen und Patienten stoßen in Europa auf breite Zustimmung - das belegt die Studie „European Study on the Digitalisation of the Healthcare Pathways“, im Rahmen dessen hat Sopra Steria Consulting Ende vergangenen Jahres insgesamt 1200 Bürger aus sechs europäischen Ländern befragt. Konkret waren drei von vier Befragten der Auffassung, dass elektronische Patientenakten (EPA) das Gesundheitswesen verbessern werden. Genauso viele gaben an, dass sie einen digitalen Austausch von Gesundheitsdaten zwischen Medizinern, Patienten und Versicherungen befürworten. Ebenfalls drei von vier glauben, dass Apps für chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes nützlich sind. Immer noch sechs von zehn erwarten sich medizinische Verbesserungen durch Anwendungen und Geräte, die den Lebensstil und das Gesundheitsverhalten überwachen. Und jeder zweite sieht die Tele-Beratung durch Ärzte via Computer oder Mobilgerät positiv. Die Umfrage fand vor der Coronavirus-Krise statt. Seither dürfte die Zustimmung zu den Tele-Sprechstunden nochmal deutlich gewachsen sein.

Digitale Gesundheitsanwendungen auf dem Weg in die Regelversorgung

Was sich die Bürgerinnen und Bürger in dieser und anderen Befragungen wünschen, wird schon bald Teil des Alltags vieler Menschen im deutschsprachigen Raum sein. Österreich bzw. die Schweiz haben sich mit der elektronischen Patientenakte ELGA bzw. dem elektronischen Patienten-Dossier EPD bereits vor einiger Zeit auf den Weg in Richtung eines digitalen Gesundheitswesens gemacht, das den Patienten und die Patientin in den Mittelpunkt rückt. Deutschland zog in den letzten 12 Monaten mit einem wahren Reigen an Gesetzesinitiativen nach, die darauf abzielen, die Vorteile digitaler Prozesse im Gesundheitswesen für alle spürbar zu machen.

In einem Bereich hat sich Deutschland sogar zu einem internationalen Vorreiter aufgeschwungen: Das im Dezember 2019 in Kraft getretene Digitale Versorgung Gesetz (DVG) hat für so genannte Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) einen neuen Weg in die Erstattung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung geebnet mit dem Ziel, diese digitalen Werkzeuge schneller für alle verfügbar zu machen:

  • DiGAs sind digitale Medizinprodukte der Medizinprodukteklassen I und IIa, die entweder einen medizinischen Nutzen haben oder darauf abzielen sollen, Verfahren und Strukturen der medizinischen Versorgung zu verbessern.
  • Sofern eine DiGA allgemeine Anforderungen an Sicherheit, Qualität, Funktionstauglichkeit und Datenschutz erfüllt, kann der Hersteller beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Aufnahme in ein neu zu schaffendes „DiGA-Verzeichnis“ beantragen. Die DiGA wird dann von den Krankenkassen zu einem vom Hersteller festgesetzten Preis ein Jahr lang erstattet.
  • In der Erprobungsphase müssen im Rahmen einer Studie positive Versorgungseffekte nachgewiesen werden, wenn eine dauerhafte Erstattung erreicht werden soll. Der endgültige Preis wird dann vom Hersteller und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgehandelt. Gibt es keine Einigung über einen Preis, entscheidet eine Schiedsstelle.
  • Zentrale „Schnittstelle“ für DiGAs werden medizinische Einrichtungen sein, die DiGAs indikationsbezogen verordnen sollen. Dazu soll es Ärztinnen und Ärzten ermöglicht werden, aus ihren IT-Systemen heraus DiGAs anzuwählen und den Patienten dafür eine Art Rezept auszustellen, das in einem App-Store oder auf der jeweiligen Internetseite Zugang zu der digitalen Anwendung verschafft.

Noch sind im Zusammenhang mit den DiGAs einige Fragen offen. Im Laufe des Frühjahrs soll eine im DVG angelegte Rechtsverordnung in Kraft treten, die weitere Details klärt. Zeitgleich will das BfArM einen Leitfaden veröffentlichen, der vor allem die Anforderungen an den zu erbringenden Nutzennachweis konkretisiert. Läuft alles nach Plan, dann könnten Ärztinnen und Ärzte im späten Sommer 2020 die ersten DiGAs ganz regulär rezeptieren.

Elektronische Rezepte und Tele-Sprechstunde

Mit den DiGAs erhalten Bürgerinnen und Bürger, die medizinische Hilfe benötigen, künftig in vielen Situationen digitale Helfer an die Hand, die den Umgang mit chronischen Erkrankungen erleichtern. Doch auch in die Akutversorgung hält die Digitalisierung Einzug. So können niedergelassene Ärztinnen und Ärzte seit Oktober 2019 im deutschen Gesundheitswesen mit telemedizinischen Patientenkontakten unabhängig von der Indikation eine um rund 20 Prozent reduzierte Quartalspauschale auslösen. Das erlaubt es, Videosprechstunden auf breiterer Front im deutschen Gesundheitswesen einzuführen, ähnlich wie das etwa in Skandinavien schon seit Jahren üblich ist.

Die Coronavirus-Krise hat diese Entwicklung noch einmal verstärkt. So haben Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV Spitzenverband im März 2020 beschlossen, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten vorerst temporär einen beliebig großen Teil ihres GKV-Budgets telemedizinisch erbringen dürfen. Für Patientinnen und Patienten heißt das, dass sie normale Arzt-/Psychotherapeutenkontakte zumindest derzeit regelhaft auch telemedizinisch in Anspruch nehmen können, sofern die jeweilige medizinische Einrichtung das anbietet.

Rezepte werden in solchen Konstellationen in vielen Fällen noch per Fax an die jeweilige Apotheke übermittelt. Doch auch hier ist die Digitalisierungsdynamik deutlich: Bis Ende Juni 2020 muss die für die Vernetzung des deutschen Gesundheitswesens zuständige gematik GmbH die technischen Eckdaten eines elektronischen Rezepts definiert haben. Patienten sollen diese eRezepte in einer App auf ihrem Mobilgerät speichern und bei einer Apotheke ihrer Wahl einlösen können. Aktuell läuft in unterschiedlichen Regionen und mit unterschiedlichen Partnern eine zweistellige Zahl an Tests derartiger eRezepte, und die Anbindung der Apotheken an das digitale Netz des deutschen Gesundheitswesens („Telematikinfrastruktur“) startet im zweiten Quartal 2020.

Elektronische Patientenakte ante portas

In unmittelbaren Kontakt mit dem digitalen Gesundheitswesen kommen Bürgerinnen und Bürger schließlich auch bei den elektronischen Patientenakten oder EPA. Ab dem 1. Januar 2021 müssen gesetzliche Krankenversicherungen den Versicherten, die das möchten, eine EPA anbieten. Dort können medizinische Dokumente aller Art gespeichert werden, etwa Arztbriefe, Befunde, EKGs von einer Smartwatch oder auch Blutzuckerwerte aus entsprechenden Apps.

In den Monaten nach dem EPA-Startschuss werden medizinische Einrichtungen – Krankenhäuser und Arztpraxen – sukzessive die technischen Möglichkeiten schaffen, um behandlungsrelevante Dokumente in die Patienten-EPA einzustellen. Gleichzeitig werden unter der Regie der KBV mit Hochdruck spezielle Medizinische Informationsobjekte (MIOs) entwickelt, die ebenfalls Teil der EPA werden sollen, darunter ein elektronischer Impfpass, ein elektronisches Zahnbonusheft, ein elektronischer Mutterpass und ein elektronisches Kinder-Untersuchungsheft.

Bürgerinnen und Bürger sollen auf ihre EPA auf unterschiedlichen Wegen zugreifen können, wie Christian Klose vom Bundesministerium für Gesundheit betont: „Der Zugriff erfolgt über die elektronische Gesundheitskarte, die dafür mit einer NFC Schnittstelle ausgestattet wurde. Daneben werden alternative Zugangswege technisch von den Anbietern umgesetzt. Zusätzlich schaffen wir eine Lösung für Menschen, die kein Smartphone haben oder es nicht nutzen wollen: Sie können in der Arztpraxis mit ihrer PIN die Zugriffberechtigung erteilen.“

Die EPA als Patientenplattform des digitalen Gesundheitswesens

Bei Einführung wird die EPA zunächst ein reiner Dokumenten-Container sein. Schon bei dieser „EPA 1.0“ kann aber jeder über ein Körbemodell mitbestimmen, wie viele Dokumente sichtbar sind: Der Patient ist Herr seiner Daten. Ab der für das Jahr 2022 anvisierten EPA 2.0 soll es gemäß dem derzeit in Abstimmung befindlichen Entwurf für ein Patientendatenschutzgesetz (PDSG) ein umfassendes Zugriffs- und Rechtemanagement geben, bei dem jeder, der das möchte, auf Ebene einzelner Dokumente festlegen kann, wer darauf Zugriff erhält und wer nicht.

Schrittweise soll sich die EPA für Bürgerinnen und Bürger weg von einem Dokumenten-Container hin zu einer interaktiven Gesundheitsplattform entwickeln, auf deren Daten – immer nur mit Einverständnis – Anwendungen aller Art zugreifen können. So ist beispielsweise vorgesehen, dass standardisierte Datensätze für Diabetes ab 2023 Teil der EPA werden. Mit diesen Daten könnten dann digitale Diabetesanwendungen arbeiten, was ganz neue Formen der Interaktion zwischen Patienten und Anbietern medizinischer Leistungen ermöglicht.

Große Dynamik erwartet

Vor dem Hintergrund der Vielfalt an Anwendungen und der großen Nutzenpotenziale erwarten Beobachter des Gesundheitswesens, dass das Volumen des digitalen Gesundheitsmarkts in den nächsten Jahren deutlich wächst. In ihrer Studie „Future of Health: Eine Branche digitalisiert sich – radikaler als erwartet“ gehen die Analysten von Roland Berger davon aus, dass digitale Produkte und Dienstleistungen schon 2025 etwa 8 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben ausmachen werden. Der Digital Health Markt würde dann allein in Deutschland 38 Milliarden Euro umfassen, und in der gesamten EU wären es 155 Milliarden Euro.

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